In meinem letzten Beitrag habe ich Grundgedanken des „Servant Leadership“ vorgestellt: Sie gehen zurück auf Robert K. Greenleaf, der in den 1970er Jahren seine Erfahrungen aus über 30-jähriger Tätigkeit als Personalmanager bei AT&T genutzt hat, um zu skizzieren, wie eine effektivere, menschlichere und nachhaltigere Führung gelingen kann. Sein Ansatz, etwas zugespitzt: Die besseren Chefs sind diejenigen, die ihre direktive Chefrolle aufgeben. Was nicht bedeutet, „Führung“ aufzugeben. Wenn Vorgesetzte ihre Aufgabe vor allem darin begreifen, ihren Mitarbeitern und der Organisation zu dienen, sie zu unterstützen und zu fördern, dann erwächst daraus die Akzeptanz als „natürlich“ Führender quasi von ganz allein, so Greenleaf. Einem „Servant Leader“ folgen Menschen mit größerer Motivation, aus eigener Überzeugung, ohne Druck. Was für den Vorgesetzten bleibt, ist die Richtung vorzugeben, die Einhaltung der Spielregeln zu überwachen und letztlich die Verantwortung zu tragen.
- Fragen und Zuhören
Was wollen die Mitarbeiter wirklich, was treibt sie an? Nicht immer artikulieren Menschen ihre Sichtweisen, Wünsche und Bedürfnisse direkt. Nur über Fragen, über die ich die Welt des anderen erschließen kann und mit aktivem, interessiertem, wohlmeinendem Zuhören und Reflektieren kann ein Vorgesetzter die manchmal verschlüsselten Botschaften verstehen und erkennen, welcher Führungsbedarf besteht.
- Empathie
Die nächste Stufe, die dem aktiven Zuhören folgt: echte Empathie. Sie bedeutet, das Besondere in den Mitmenschen zu erkennen und zu akzeptieren – auch und gerade wenn das Verhalten vielleicht zunächst ungewöhnlich wirken mag. Vielfalt ist bereichernd – die Eigenheiten eines Menschen sollten als Stärke gesehen werden.
- Heilung
Damit meint Spears vor allem die Fähigkeit zur Konfliktlösung: Ein „Servant Leader“ muss (innere) Konflikte seiner Mitmenschen – und auch bei sich selbst – identifizieren und lösen können.
- Bewusstsein
Das Geschehen um einen herum richtig deuten und antizipieren, welche Folgen bestimmte Handlungen oder Entscheidungen haben: Das ist mit Bewusstsein gemeint, das bei einem Servant Leader intensiver als bei den Mitmenschen ausgeprägt sein sollte.
- Überzeugungskraft
Nicht die formale Machtposition verleiht einem dienenden Chef die notwendige Autorität, sondern seine Fähigkeit, andere Menschen wirklich zu überzeugen und die Sinnhaftigkeit von Entscheidungen zu vermitteln.
- Visionäre Kraft
Ein Team nur sicher durch den Alltag führen – das reicht nicht. Starke Vorgesetzte haben eine größere Idee und Gestaltungskraft – und nehmen ihre Kollegen auf dem Weg mit, sie zu verwirklichen.
- Voraussicht
Manche nennen es auch Intuition: Wenn man ein sehr gutes Gefühl dafür hat, welches Verhalten zu welchen Konsequenzen führt. Die Fähigkeit zur klaren Voraussicht speist sich überwiegend aus der Vergangenheit: Man muss aus Erlebtem, verbunden mit der Vorstellungskraft „nach vorne“ die richtigen Schlüsse ziehen können.
- Verantwortungsbewusstsein
Ein Vorgesetzter trägt die Verantwortung nicht nur für seine eigenen Entscheidungen und Handlungen, sondern generell für das Wohl seiner Mitarbeiter und der Organisation.
- Fürsorge
Einem echten Servant Leader ist besonders wichtig, dass die Mitmenschen in seinem Einflusskreis sich weiterentwickeln, ob fachlich oder sozial, dass ihre Persönlichkeit wächst.
- Gemeinsinn
Ein starker authentisch vorgelebter Teamgeist (das Ganze ist größer als jeder einzelne) sorgt dafür, dass alle Beteiligten eigenmotiviert im Rahmen der Spielregeln arbeiten und die zugesagten Beiträge leisten.
Diese zehn Faktoren, die nach Larry Spears einen Servant Leader ausmachen, sind nicht als strenge Definition zu verstehen. Ganz bewusst gibt es keine präzisen Handlungsvorgaben. Den Ansatz der dienenden Führerschaft tagtäglich mit Leben zu erfüllen und den spezifischen Situationen am Arbeitsplatz anzupassen, ist eben die Aufgabe des achtsamen, zukunftsfähigen Chefs.