Servant Leadership (I): Warum „dienende Führer“ die besseren Chefs sind

Unter welchem Chef würden Sie am liebsten arbeiten? Welcher Typus würde wohl die größte Motivation bei Ihnen entfachen? Wäre es die distinguierte Dame, immer freundlich, aber auch distanziert, die zwar allgemeine Vorgaben macht, aber ansonsten das Tagesgeschäft und die operative Führung auserwählten Adlaten überlässt? Würden Sie eher den Schinder bevorzugen, der ständig etwas auszusetzen hat und die Mitarbeiter permanent unter Druck setzt? Oder würden Sie, dritter Typus, den Malocher favorisieren, der gerne mitanpackt, sich bei Gegenwind vor Sie stellt und seine Bedürfnisse stets hinter die seiner Mitarbeiter stellt? Die Präferenzen für einen bestimmten Charakter mögen im Einzelfall unterschiedlich sein. Doch wenn wir uns unseren Chef aussuchen könnten, wäre klar, welcher Typus bei der Mehrheit gewinnen würde: der/die Vorgesetzte, der/die sich in erster Linie als Mitglied des Teams begreift und es nach Herzenskraft unterstützt – nicht aus Berechnung, sondern aus Überzeugung. Jemand, der „Führen“ als „Dienen“ begreift und sich entsprechend verhält.

Dienen und führen: Geht das zusammen? Kann ein Vorgesetzter eine dienende Rolle einnehmen und trotzdem noch Chef bleiben? Ja, das kann wunderbar funktionieren. In meiner dreiteiligen Serie auf diesem Blog werde ich Ihnen in den nächsten Wochen vorstellen, warum „Servant Leadership“ tatsächlich ein erfolgreicher gedanklicher Rahmen für viele Herausforderungen ist, mit denen Führungskräfte heutzutage konfrontiert werden. In den USA bereits bekannt und in einer Reihe von Unternehmen erfolgreich im Praxiseinsatz, stößt der Ansatz auch in Deutschland auf zunehmendes Interesse. Was genau bedeutet nun „Servant Leadership“? Was macht einen „dienenden Chef“ aus? Warum ist sein Führungsstil effektiver und angesagter denn je?

Wir leben in einer Zeit stetigen Wandels und multipler Disruption: Produkte und Dienstleistungen werden komplexer, Märkte verändern sich kurzfristig dramatisch, Flexibilität und laufende Innovation sind stärker gefragt als je zuvor. Viele Unternehmen, die es nicht schaffen, sich diesen neuen Bedingungen anzupassen, stehen vor existentiellen Fragen. Eines wird sich jedoch auf absehbare Zeit nicht ändern: Das wichtigste Kapital eines Unternehmens sind die Menschen. Allein: Arbeitsweisen und die Organisation mit ihren Abläufen und Strukturen müssen sich ändern, wie auch die Art unserer Zusammenarbeit. Rigide Top-down-Führung funktioniert immer weniger, Unsicherheit und Komplexität zwingen zu Kooperation, Partizipation und Offenheit, weit über die eigenen Unternehmensgrenzen hinaus, weil mit ihr die Ansprüche der Märkte zunehmend schlechter erfüllt werden können und die Menschen immer mehr teilhaben wollen.

„Agile“ Unternehmensführung ist ein aktuelles Thema, das in vielen Branchen Beachtung findet. Langsam greift die Erkenntnis, dass sich nicht nur Technologien und Märkte grundlegend verändern, sondern dass sich auch die Mitarbeiterführung grundlegend ändern muss. Lange bevor „agile“ Methoden Einzug hielten, wurde das Konzept des „Servant Leaders“ in den 1970er Jahren entwickelt. Begründer ist Robert K. Greenleaf, der über 30 Jahre als Personalmanager bei AT & T, dem zeitweise größten Unternehmen der Welt, tätig war. Ohne Frage war es ihm in seiner Rolle bei dem Telekommunikationskonzern möglich, reichlich Erfahrung zu sammeln, wie Mitarbeiterführung und Personalentwicklung besser zu gestalten sind. Als er 1964 in den Ruhestand ging, war sein Befund klar: Die autokratische Führung alter Schule, damals weit verbreitet und kaum in Frage gestellt, erschien ihm zum einen menschenfern, zum anderen auch aus unternehmerischer Sicht falsch, weil ineffektiv. Greenleaf entwickelte ein radikales Gegenmodell, das er in seinem ersten Essay zum Thema im Jahr 1970 entwarf: „The Servant as Leader“. Seine Grundüberzeugung war, dass die größte Gefolgschaft die Anführer erreichen, die glaubhaft zeigen, dass sie ihre eigenen Interessen hinter die der „Geführten“ zurückstellen. Diese Erkenntnis erscheint einfach und einleuchtend, doch im historischen Kontext waren seine Ideen fast revolutionär.

Greenleafs Gedankengebäude wird bis heute permanent weiter entwickelt, unterschiedliche Denkschulen haben sich gebildet. Allen gemeinsam ist der Ausgangspunkt: Bei „Servant Leadership“ geht es als erstes und vor allem um die persönliche Haltung. Ein dienender Chef strebt nicht nach Macht, Einfluss oder Geltung, sondern will ganz und gar das Beste für seine Mitarbeiter und die Organisation, für die er Verantwortung trägt. Und diese Einstellung entspringt seinem Herzen, seiner Grundüberzeugung. Von ihr lässt er sich leiten. Wenn der Dienst an den Mitarbeitern ganz selbstverständlich an erster Stelle steht, folgt die akzeptierte Führerschaft von allein – sie entfaltet sich sozusagen auf eine natürliche Art und Weise.

Oder wie Peter Drucker, ein US-amerikanischer Ökonom, es sehr pointiert ausgedrückt hat: „Wirtschaft findet in der Gesellschaft statt und eine globale Wirtschaft in einer globalen Gesellschaft. Management hat eine gesellschaftliche Funktion, ist eine berufliche Aufgabe, deren Kern weder Reichtum noch Rang ist, sondern Verantwortung bildet, über allem wissentlich keinen gesellschaftlichen Schaden anzurichten.“

1 Gedanke zu „Servant Leadership (I): Warum „dienende Führer“ die besseren Chefs sind“

  1. So eine tolle Idee, so notwendig. Titel, Aufmachung, Programm…, sehr beeindruckend. Aber „dienende Führung“ klingt in meinen Ohren falsch; und so wie mit den DienerInnen und Servants umgegangen wurde, weckt es m.E. auch falsche Assoziationen und Bilder. Respektvoll wäre mein Wort.

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